Ein Arbeitnehmer, der nach einer Kündigung durch den Arbeitgeber freigestellt wird, unterlässt grundsätzlich nicht böswillig im Sinne des § 615 Satz 2 BGB einen anderweitigen Verdienst, wenn er nicht bereits vor Ablauf der Kündigungsfrist ein neues Arbeitsverhältnis eingeht. Worum es dabei genau geht, erläutert dieser Beitrag.
Der aktuelle Fall: Freistellung und Lohnklage
Im zugrundeliegenden Fall kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29. März 2023 ordentlich zum 30. Juni 2023. Gleichzeitig stellte er den Arbeitnehmer unter Anrechnung von Resturlaub unwiderruflich frei. Der vom Arbeitnehmer erhobenen Kündigungsschutzklage gab das Arbeitsgericht statt. Die eingelegte Berufung des Arbeitgebers wurde am 11. Juni 2024 zurückgewiesen. Soweit, so gut.
Der Arbeitnehmer meldete sich nach Zugang der Kündigung Anfang April arbeitssuchend und erhielt erstmals Anfang Juli Vermittlungsvorschläge von der Agentur für Arbeit. Der Arbeitgeber hingegen übersandte ihm bereits im Mai und Juni 2023 insgesamt 43 Stellenangebote, die nach seiner Einschätzung für den Arbeitnehmer passend waren.
Der Arbeitnehmer bewarb sich ab Ende Juni 2023 auf sieben dieser Angebote. Da der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer für Juni 2023 – mithin noch während des laufenden Arbeitsverhältnisses – keine Vergütung zahlte, klagte er diese ein. Der Arbeitgeber beantragte Klageabweisung mit der Begründung, dass der Arbeitnehmer verpflichtet gewesen wäre, sich während der Freistellung zeitnah auf die von ihm überlassenen Stellenangebote zu bewerben. Da er dies nicht getan habe, müsse der Arbeitnehmer sich den fiktiven, anderweitigen Verdienst anrechnen lassen.
Die gerichtliche Entscheidung: Keine Anrechnung bei Freistellung
Das Arbeitsgericht wies die Klage zunächst ab. Das Landesarbeitsgericht gab der Berufung des Arbeitnehmers jedoch statt – und das Bundesarbeitsgericht (BAG) bestätigte diese Entscheidung. Letztlich befand sich der Arbeitgeber aufgrund der einseitigen Freistellung des Arbeitnehmers während der Kündigungsfrist im sogenannten Annahmeverzug. Er schuldet dem Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung für die gesamte Dauer der Kündigungsfrist.
Einen etwa nicht erzielten, anderweitigen Verdienst muss sich der Arbeitnehmer nach § 615 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nicht anrechnen lassen. Eine Anrechnung eines fiktiven anderweitigen Verdienstes wäre nur dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer wider Treu und Glauben untätig geblieben wäre.
Grundsätzlich hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auch während der Kündigungsfrist zu beschäftigen. Nachdem der Arbeitgeber jedoch nicht dargelegt hat, dass eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar gewesen wäre, bestand für den Arbeitnehmer keine Verpflichtung, vorzeitig ein anderes Arbeitsverhältnis einzugehen – auch nicht zur finanziellen Entlastung des Arbeitgebers.
Was bedeutet dies für den Arbeitgeber?
Das Urteil stellt klar, dass die Anrechnung böswillig unterlassenen anderweitigen Erwerbs während der Dauer der Kündigungsfrist nur noch in Ausnahmefällen denkbar sein wird. Nach dem Ablauf der Kündigungsfrist sollte der Arbeitgeber jedoch seinen ehemaligen Arbeitnehmer nachweisbar mit passenden Stellenangeboten versorgen, da ab diesem Zeitpunkt die Anrechnung anderweitigen (fiktiven) Verdienst möglich ist.
Sie haben Fragen zum Thema oder generell zum Arbeitsrecht?
Bei Fragen oder Unterstützungsbedarf stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Zögern Sie nicht, sich bei mir zu melden. Ich helfe Ihnen gerne weiter!
Ihr Christian Seidel
Ihr ACCONSIS-Ansprechpartner

Christian Seidel
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Prokurist der Acconsis GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft
Service-Telefon
+ 49 89 547143
oder per E-Mail
c.seidel@acconsis.de