Nahe Angehörige können durch ein Testament enterbt werden – doch der Pflichtteil bleibt bestehen. Besonders kompliziert wird es, wenn der Nachlass überwiegend aus Immobilien besteht. Der Pflichtteilsanspruch kann dann zu einem erheblichen Liquiditätsproblem für die Erben werden.
Immobilien im Pflichtteilsrecht
In der Praxis zeigt sich: Wer Immobilien vererbt und dabei Pflichtteilsansprüche nicht mitdenkt, riskiert Streitigkeiten, hohe Kosten und langwierige Verfahren. Umso wichtiger ist eine vorausschauende Nachlassplanung – rechtlich durchdacht und wirtschaftlich umsetzbar.
Gesetzliche Erbfolge und Pflichtteil: Was gilt ohne Testament?
Fehlt eine letztwillige Verfügung, regelt das Gesetz die Erbfolge. Ehepartner und Verwandte (z.B. Kinder, Enkel) erben nach festen Quoten. In diesen Fällen entstehen Pflichtteilsansprüche meist nur, wenn der Nachlasswert z. B. durch lebzeitige Schenkungen verringert wurde.
Testierfreiheit & Enterbung: Was ist erlaubt?
Ein Testament oder Erbvertrag erlaubt weitreichende Regelungen. Der Erblasser kann Erben einsetzen oder enterben, Vermächtnisse anordnen und bestimmte Vermögenswerte gezielt übertragen. Doch das Pflichtteilsrecht setzt dieser Freiheit eine klare Grenze.
Pflichtteilsrecht: Schutz für enge Angehörige
Der Pflichtteil schützt Ehepartner, Kinder (bei Vorversterben der Kinder auch Enkel) und (in bestimmten Fällen) Eltern vor vollständigem Ausschluss vom Nachlass. Er beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils und ist ein reiner Zahlungsanspruch gegen die Erben, hingegen keine direkte Beteiligung an der Erbengemeinschaft.
Pflichtteil in der Praxis: Beispielrechnung bei einer Immobilie
Jedes von zwei Kindern eines verwitweten Erblassers ist gesetzlicher Erbe zu 1/2. Wird ein Kind testamentarisch enterbt, beträgt sein Pflichtteil 1/4 des Wertes des Nachlasses. Besteht der Nachlass beispielsweise nur aus einer Immobilie im Wert von 1,0 Mio. €, beläuft sich der Pflichtteil auf 250.000 € – in bar.
Welche Ansprüche haben Pflichtteilsberechtigte?
Anspruch auf Erstellung eines Nachlassverzeichnisses
Der Pflichtteilsberechtigte kann von den Erben die Erstellung eines umfassenden Nachlassverzeichnisses zum Todestag (gegebenenfalls auch durch Aufnahme durch einen Notar) verlangen. Das Nachlassverzeichnis muss auch Angaben zu lebzeitigen Schenkungen des Erblassers enthalten, da auch diese für die Berechnung des Zahlungsanspruchs relevant sein können. Weigern sich die Erben, kann die Erstellung gerichtlich durchgesetzt werden.
Anspruch auf Wertermittlung / Immobilienwerte
Darüber hinaus hat der Pflichtteilsberechtigte gegen die Erben einen Anspruch auf Erstellung/Vorlage von Wertgutachten die Immobilien betreffend (auf Kosten des Nachlasses). Hierbei ist grundsätzlich ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger heranzuziehen. Maßgeblich für die Pflichtteilsberechnung ist der Wert der Immobilie zum Todestag. Für den Erben erstellte „Gefälligkeitsgutachten“ (mit zu niedrigen Immobilienwerten) muss der Pflichtteilsberechtigte nicht gegen sich gelten lassen. Verweigern die Erben die Wertermittlung oder erfüllen sie diese unzureichend, kann die Erstellung auch hier gerichtlich durchgesetzt werden.
Berücksichtigung von zu Lebzeiten übertragenen Immobilien
Um den Pflichtteil zu unterlaufen, könnte der Erblasser sein gesamtes Vermögen zu Lebzeiten verschenken und somit den Wert des Nachlasses sowie den Pflichtteil auf null reduzieren. Um dies zu vermeiden, gibt es die sogenannten „Pflichtteilsergänzungsansprüche“. Demnach kann der Pflichtteilsberechtigte seine Pflichtteilsquote auch am Wert von zu Lebzeiten geschenkten Immobilien verlangen.
Hierbei ist die Wertermittlung in der Regel besonders umstritten. Es gilt das sogenannte „Niederstwertprinzip“. Das bedeutet, zu ermitteln sind zum einen der Wert der Schenkung im Zeitpunkt der Schenkung (zuzüglich bis zum Tod eingetretenen Kaufkraftschwund) und zum anderen der Wert im Zeitpunkt des Todes. Maßgeblich ist der niedrigere dieser beiden Werte. Der Pflichtteilsberechtigte kann jedoch grundsätzlich die Vorlage von Gutachten auf beide Stichtage verlangen.
Pflichtteilsrechtliche Abschmelzung: Wann reduziert sich der Pflichtteil?
Bei lebzeitigen Schenkungen ist auch die sogenannte pflichtteilsrechtliche „Abschmelzung“ zu berücksichtigen. Diese besagt, dass die Schenkung für jedes volle Jahr (365 Tage), das zwischen Schenkung und Tod vergeht, mit 10% weniger bei der Berechnung des Pflichtteils zu berücksichtigen ist.
Diese Abschmelzung greift aber nicht immer, z. B.:
- Schenkungen an den Ehegatten während der Ehedauer sind im Pflichtteilsrecht immer mit ihrem vollen Wert anzusetzen.
- Bei Schenkungen an sonstige Personen (z. B. Kinder) ist immer dann der volle Wert anzusetzen, wenn sich der Schenker bei Schenkung umfassende Nutzungsrechte (beispielsweise einen Nießbrauch oder ein vollumfängliches Wohnrecht) vorbehalten hat. Das bedeutet beispielsweise, dass eine in den 1990er Jahren erfolgte Schenkung unter Nießbrauchvorbehalt bei einem zukünftigen Erbfall pflichtteilsrechtlich zu berücksichtigen sein kann.
Schenkung oder nicht? Der Schenkungsbegriff im Pflichtteilsrecht
In der Praxis wird auch häufig darüber gestritten, ob es sich bei einzelnen Vorgängen um Schenkungen gehandelt hat oder nicht. Klassisches Beispiel hierfür ist, wenn der Erblasser eine Immobilie unter Marktwert an ein Kind verkauft hat.
Immer wenn Leistung und Gegenleistung wertmäßig nicht miteinander übereinstimmen, handelt es sich hinsichtlich der Wertdifferenz um eine Schenkung. Dieser Anteil ist im Rahmen des Pflichtteilsergänzungsanspruchs zu berücksichtigen. Um den Wert von Leistung und Gegenleistungen zu ermitteln, sind oftmals Gutachten erforderlich, die neben dem Immobilienwert auch beispielsweise den Wert einer vereinbarten monatlichen Rente, eines teilweisen Wohnrechts oder einer vereinbarten Pflegeverpflichtung berücksichtigen müssen. Die Wertermittlung bildet in solchen Fällen häufig den Hauptstreitpunkt.
Pflichtteil bei Immobilien: Die Liquidität ist entscheidend
Großes Ungemach droht den Erben meist dann, wenn Pflichtteilsansprüche zuvor nicht bedacht worden sind und die Erben von der Höhe der Forderung überrascht werden. Denn die Erben müssen den Pflichtteil auszahlen – sei es durch Kreditaufnahme oder notfalls durch Immobilienverkauf. Bei selbst genutzten Objekten kann dies dramatische Folgen haben. Stundungen sind zwar nicht ausgeschlossen, deren gerichtliche Durchsetzung aber mit hohen Hürden verbunden.
Wie lässt sich der Pflichtteil bei Immobilien reduzieren?
Pflichtteil durch lebzeitige Schenkungen an die Erben reduzieren
Viele Erblasser möchten Immobilien zu Lebzeiten übertragen, um den Pflichtteil zu reduzieren. Dies kann durch frühzeitiges Handeln auch gelingen. Wichtig ist jedoch, dass die Schenkungen so ausgestaltet werden, dass die pflichtteilsrechtliche Abschmelzung auch tatsächlich anläuft. Die möglichen pflichtteilsrechtlichen Auswirkungen von Schenkungen werden von Immobilieneigentümern in der Praxis häufig übersehen. Ferner muss im Falle beabsichtigter Schenkungen darauf geachtet werden, dass die eigene finanzielle Absicherung – auch ohne Nießbrauchvorbehalt – hinreichend gewährleistet ist.
Pflichtteil durch Abschluss eines Pflichtteilsverzichts beseitigen
Wer Pflichtteilsansprüche gezielt ausschließen will, kann mit den betroffenen Angehörigen zu Lebzeiten einen „Pflichtteilsverzichtsvertrag“ schließen. Dieser Vertrag bedarf zwingend der notariellen Beurkundung. Ferner ist zu berücksichtigen, dass Beteiligte einen Pflichtteilsverzicht in der Regel nur dann abgeben werden, wenn sie dafür eine adäquate Gegenleistung erhalten.
Pflichtteil durch Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte reduzieren
Auch wenn kein genereller Pflichtteilsverzicht vereinbart wird, können lebzeitige Schenkungen an zukünftige Pflichtteilsberechtigte deren Pflichtteile erheblich reduzieren. Voraussetzung ist aber grundsätzlich, dass bei Schenkung (nachweisbar) angeordnet worden ist, dass der Wert der Schenkung auf den Pflichtteil anzurechnen ist. Dem Schenker ist daher grundsätzlich dringend anzuraten, eine solche Anrechnungsbestimmung in den Schenkungsvertrag aufzunehmen. Ohne das Einverständnis des Beschenkten kann diese Bestimmung nicht mehr nachträglich getroffen werden.
Ausgewogene Testamentsgestaltung: Streit um Pflichtteil bei Immobilien vorbeugen
Ein durchdachtes Testament verhindert nicht nur formale Fehler, sondern auch emotionale Konflikte. Der Pflichtteil wird häufig dann eingefordert, wenn sich Angehörige übergangen oder ungerecht behandelt fühlen. Dem kann man entgegenwirken:
- durch transparente Verfügungen,
- durch klare Kommunikation zu Lebzeiten,
- durch klare Ausgleichsregelungen für geleistete Pflege oder Familienarbeit,
- durch Vermächtnisse oder Teilzuwendungen,
- durch einheitliche Regelungen bei Immobiliennutzung und -verwertung.
Gerade bei Immobilien lohnt sich eine Testamentsgestaltung mit Weitblick, die sowohl wirtschaftliche als auch familiäre Aspekte berücksichtigt. So lassen sich spätere Konflikte und finanzielle Zwangslagen oft vermeiden.
Praxistipps zur Vermeidung von Pflichtteilsstreitigkeiten
- Pflichtteilsverzichte frühzeitig vereinbaren
Mit Kindern oder Ehepartnern können vertragliche Pflichtteilsverzichte getroffen werden – oft gegen Abfindungen oder anderweitige Zuwendungen. - Immobilienübertragung mit Augenmaß
Eine Schenkung mit vollständigem Besitz- und Nutzungsübergang setzt die 10-jährige Abschmelzung in Gang (außer bei Ehegattenschenkungen). Der Verzicht auf die Aufnahme eines Nießbrauchvorbehalts kann sich für die Erben lohnen. - Testament klar und verständlich formulieren
Unklare Formulierungen führen zu Streit. Ein mit fachkundiger Beratung erstelltes Testament sorgt für Rechtssicherheit. - Pflichtteilsberechtigte bedenken – auch symbolisch
Ein kleines Vermächtnis oder eine Zuwendung kann den Ausschluss mildern und emotionale Akzeptanz fördern. Es ist aber keine Garantie dafür, dass der Pflichtteil nicht doch geltend gemacht wird. - Vermögensstruktur überprüfen
Immobilienlastige Nachlässe ohne Liquidität bergen Risiken. Ein ausgewogener Mix aus Barvermögen und Sachwerten erleichtert Pflichtteilszahlungen. - Familiengespräche führen
Klare Worte zu Lebzeiten können Missverständnisse nach dem Erbfall vermeiden. - Steuerliche Aspekte mitdenken
Pflichtteilszahlungen mindern die Erbschaftsteuerbelastung der Erben – auch das sollte in die Planung einfließen.
Fazit: Pflichtteil bei Immobilien – Nachlass vorausschauend planen
Die Pflichtteilsregelungen bieten nahen Angehörigen Schutz, stellen Erben aber oft vor große Herausforderungen – insbesondere bei hohen Immobilienwerten.
Deshalb gilt: Je früher die Nachlassplanung erfolgt, desto besser lassen sich Streit, Zwangsverkäufe und finanzielle Belastungen vermeiden. Ob durch frühzeitige Schenkung, ausgewogene Testamente oder Verzichtsvereinbarungen – das Pflichtteilsrecht verlangt nicht nur juristisches Know-how, sondern auch Fingerspitzengefühl.
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