Hat der BGH die Patientenverfügung entwertet?

Der Bundesgerichtshof hat am 2. April 2019 geurteilt, dass ein Weiter-am-Leben-Erhalten des Patienten (möglicherweise auch bei ausdrücklich widersprechender Patientenverfügung) weder Schmerzensgeld noch Schadenersatzansprüche gegen den behandelnden Arzt auslöst. Die Errichtung einer Patientenverfügung ist jedoch weiterhin dringend zu empfehlen!

Was hat der Bundesgerichtshof entschieden und was folgt daraus?

 
Der 1929 geborene Vater des Klägers litt an fortgeschrittener Demenz. Er war bewegungs- und kommunikationsunfähig. Der Patient wurde von 2006 bis zu seinem Tod mittels einer PEG-Magensonde künstlich ernährt. Im Oktober 2011 verstarb er. Er stand unter Betreuung eines Rechtsanwalts. Der Beklagte, ein niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin, betreute den Patienten hausärztlich. Der Patient hatte keine Patientenverfügung errichtet. Sein Wille hinsichtlich des Einsatzes lebenserhaltender Maßnahmen ließ sich auch nicht anderweitig feststellen. Es war damit nicht über die Fallgestaltung zu entscheiden, dass die künstliche Ernährung gegen den Willen des Betroffenen erfolgte.
 

Der Kläger, sein Sohn, machte geltend, die künstliche Ernährung habe spätestens seit Anfang 2010 nur noch zu einer sinnlosen Verlängerung des krankheitsbedingten Leidens des Patienten geführt. Der Kläger verlangt aus ererbtem Recht seines Vaters Schmerzensgeld sowie Ersatz für Behandlungs- und Pflegeaufwendungen.
 

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass dem Patienten beziehungsweise seinem Sohn, kein Anspruch auf Schmerzensgeld oder Schadenersatz zusteht. Dies begründet der Bundesgerichtshof damit, dass das menschliche Leben ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig ist. Ein Urteil darüber, ob das Leben ein Schaden sein kann oder nicht, steht keinem Dritten zu. Insbesondere aller staatlichen Gewalt einschließlich der Rechtsprechung ist es durch das Grundgesetz verfassungsmäßig verboten, das Leben – auch wenn es ein nur leidensbehaftetes Weiterleben wäre – zivilrechtlich als Schaden anzusehen.
 

Aus dieser Urteilsbegründung, dass das Leben kein Schaden sein kann, lässt sich ableiten, dass der Bundesgerichtshof vermutlich selbst dann ebenso entschieden hätte, wenn der Patient eine Patientenverfügung errichtet und in dieser lebenserhaltende Maßnahmen abgelehnt hätte. Denn aus Sicht des Bundesgerichtshofs erleidet ein Patient keinen – jedenfalls keinen in Geld aufwiegbaren – Schaden, wenn er am Leben erhalten wird.

Ist eine Patientenverfügung somit überflüssig?

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs bedeutet aber keinesfalls, dass die Errichtung einer Patientenverfügung ab sofort obsolet ist. Denn ich errichte eine Patientenverfügung nicht, um die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen nach meinem Tod vorzubereiten, sondern um dafür zu sorgen, dass meinem Patientenwillen zu Lebzeiten Folge geleistet wird. Und hier ist es weiterhin so, dass ein Arzt, der einen Patienten entgegen dessen ausdrücklich in einer Patientenverfügung geäußerten Willen behandelt, strafrechtliche und berufsrechtliche Konsequenzen fürchten muss.
 

Darüber hinaus kann der Verstoß gegen die Patientenverfügung grundsätzlich auch weiterhin zu zivilrechtlichen Ansprüchen (z.B.  Schmerzensgeld) gegen den Arzt führen, wenn dieser einen Eingriff vornimmt, der in der Patientenverfügung ausdrücklich untersagt worden ist. Der Bundesgerichtshof hat zwar klargestellt, dass das Weiterleben an sich keinen Schaden darstellt, jedoch können die durch einen ohne Einwilligung erfolgten Eingriff (Körperverletzung) verursachten Schmerzen zu zivilrechtlichen Ansprüchen führen.
 

Fazit:

Die Errichtung einer Patientenverfügung ist weiterhin von elementarer Bedeutung, um bestmöglich sicherzustellen, dass den eigenen Vorstellungen über die medizinische (Nicht‑)Behandlung und über das eigene Leben entsprochen wird.
 

In Anbetracht des der Entscheidung des Bundesgerichtshofs zugrundeliegenden Sachverhalts (Berufsbetreuer) empfiehlt es sich darüber hinaus, eine Vorsorgevollmacht zu errichten sowie im Rahmen der Patientenverfügung eine Vertrauensperson zu benennen, die über die Durchsetzung des Patientenwillens wachen soll, und dieser Person die eigenen Vorstellungen ausführlich zu erläutern. Denn eine mit den Vorstellungen des Patienten vertraute Person wird den Vorstellungen des Patienten in aller Regel besser zur Geltung verhelfen (beispielsweise durch einen Arztwechsel oder die Anrufung des Betreuungsgerichts) als ein mit dieser Aufgabe betrauter Berufsbetreuer ohne persönlichen Bezug.  
 

Die Patientenverfügung ist und bleibt ein wichtiger Bestandteil der privaten Vorsorge!

Fragen

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