BAG-Urteil: Urlaub verjährt nur nach Hinweis des Arbeitgebers 

Ob und wann Urlaub verjährt, ist eine Frage, die natürlich auch Arbeitgeber brennend interessieren kann: Denn ob die eigenen Mitarbeitenden noch Anspruch auf Urlaub haben oder nicht, kann vor allem dann relevant werden, wenn ein(e) Mitarbeiter(in) das Unternehmen verlässt und in dem Zusammenhang Ansprüche auf Urlaubsabgeltung geltend macht.

Insofern geht es für Arbeitgeber bei der Frage, ob und ggf. wann Urlaubsansprüche verjähren können, um Rechtssicherheit, aber auch um bares Geld. Vor allem deswegen war das Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil v. 20.12.2022, Az.: 9 AZR 266/20) als Grundsatzurteil lange ersehnt.

Verfallen Urlaubsansprüche? Deutsches Recht und Europarecht

Dass Urlaubsansprüche verfallen können, ist im deutschen Recht an sich klar geregelt. Urlaub aus einem Kalenderjahr verfällt nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) mit dem Ende des Kalenderjahres, für den er besteht, spätestens aber zum 31.3. des Folgejahres.

Der europarechtliche Ansatz ist allerdings ein anderer: das Recht auf bezahlten Jahresurlaub ist in Art. 31 Abs. 2 der Grundrechtecharta geregelt und europarechtlich damit sehr hoch aufgehängt. Konkretes dazu enthält außerdem die Arbeitszeitrichtlinie RL 2003/88/EG, und natürlich hat sich auch der EuGH in zahlreichen Entscheidungen mit dem Thema befasst. Diese Rechtsprechung konnte auch das BAG nicht ignorieren: bereits 2019 hat es in einem Urteil eine Hinweis- und Aufklärungspflicht im Hinblick auf die Möglichkeit der Verjährung von Urlaubsansprüchen gegenüber Mitarbeitenden geschaffen und damit einen ersten Pflock zu diesem Thema in den Boden geschlagen.

Schon damals urteilte das Gericht, dass Urlaubsansprüche nach BUrlG nur verfallen können, wenn der Arbeitgeber auf diese Möglichkeit hinweist.

Haben Arbeitgeber in der Vergangenheit – auch vor dem Urteil des BAG 2019! – Mitarbeitende nicht auf die Möglichkeit des Verfalls hingewiesen, verfallen Urlaubsansprüche also nicht. Mitarbeitende können dann „Alturlaub“ einfordern – sind sie inzwischen aus dem Unternehmen ausgeschieden, können sie Urlaubsabgeltung in Geld verlangen.

Verjährung der Abgeltungsansprüche als Lösung für Arbeitgeber?

Aber können Mitarbeitende Urlaubsansprüche tatsächlich zeitlich unbegrenzt geltend machen – und damit ggf. auch Urlaubsabgeltungsansprüche? Springt Arbeitgebern da nicht wenigstens drei Jahre nach Ende des jeweiligen Urlaubsjahres die sog. regelmäßige Verjährung zur Seite, sodass (ehemalige) Mitarbeitende wenigstens maximal nur Ansprüche aus drei Jahren geltend machen können?

Exakt diese Frage war allerdings bisher vom höchsten deutschen Arbeitsgericht nicht geklärt worden und wurde nun im aktuell vom BAG entschiedenen Fall nach einer entsprechenden europarechtlichen Entscheidung des EuGH geklärt.

Der Fall vor dem BAG

Eine Steuerfachangestellte verließ nach mehr als 20 Jahren ihre Arbeitgeberkanzlei. In den Jahren ab 2013 hatte sich offenbar einiges an Urlaubstagen angesammelt, die die Mitarbeiterin nicht nehmen konnte. Darauf, dass Urlaubsansprüche verfallen können, wenn der Urlaub nicht genommen wird, hatte der Arbeitgeber seine Mitarbeiterin nicht hingewiesen. Als sie aus dem Arbeitsverhältnis ausschied, verlangte sie Urlaubsabgeltung für den nicht genommenen Urlaub. Zwar hatte der Arbeitgeber 14 Tage Urlaub abgegolten. Über die Abgeltung von weiteren 101 nicht genommenen Urlaubstagen konnte man sich allerdings nicht einigen.

So mussten die Arbeitsgerichte entscheiden. Das Arbeitsgericht erkannte nur Abgeltungsansprüche für 2017 – also für das Jahr des Ausscheidens. Anders das zuständige Landesarbeitsgericht: verjährt seien auch die älteren Ansprüche nicht – auch für weiter zurückliegende Urlaubstage müsse der Arbeitgeber Abgeltung leisten, immerhin 17.376,64 Euro brutto.

Einverstanden war der Ex-Arbeitgeber damit aber nicht. So musste das BAG entscheiden.

Entscheidung BAG: Verjährung nur bzw. erst, wenn Arbeitgeber Hinweis gibt

Grundsätzlich kann auch ein Urlaubsanspruch nach dem BGB regulär verjähren. Allerdings verjährt Urlaub nur, wenn Unternehmen ihre Beschäftigten darauf hingewiesen haben, dass ihr Urlaubsanspruch verfallen kann, wenn er nicht (rechtzeitig) genommen wird. Weist der Arbeitgeber Mitarbeitende darauf nicht hin, können Arbeitgeber auch bei älteren Urlaubsansprüchen nicht auf die regelmäßige dreijährige Verjährung nach BGB pochen. Wurde der Hinweis nicht gegeben, haben Mitarbeitende auch Jahre später noch einen Urlaubsanspruch, egal wie lange das Jahr vergangen ist, aus dem der Anspruch stammt.  

Das Argument des Arbeitgebers, dass zum damaligen Zeitpunkt – 2017 und früher – eine Hinweispflicht noch nicht ausgeurteilt gewesen war, ließ das Gericht nicht gelten. Grundsätzlich bestünden also die Ansprüche auf Urlaub bzw. in diesem Fall auf Urlaubsabgeltung.  

Diese Frage hatte das BAG dem EuGH zur Klärung vorgelegt, und zwar mit folgendem Ergebnis: Zwar würde eine Verjährung von Urlaubsansprüchen zu mehr Rechtssicherheit für Arbeitgeber führen. Darauf könne man sich als Arbeitgeber aber nicht berufen, wenn man es seinen Mitarbeitenden vorher nicht ermögliche, den Urlaub auch tatsächlich wahrzunehmen. Eine Verjährung nach deutschem Recht von Urlaubsansprüchen bei nicht aufgeklärten Mitarbeitenden käme deswegen nicht in Betracht.

Die Folge dessen ist nun laut BAG: Die ordentliche Verjährungsfrist von Urlaubsansprüchen beginnt erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber seine(n) Mitarbeitende(n) darüber belehrt, dass er Anspruch auf Urlaub hat und dieser verfällt, wenn er nicht genommen wird, und die Person den Urlaub trotzdem freiwillig nicht nimmt.

Ohne einen solchen Hinweis verjähren Urlaubsansprüche von Mitarbeitenden und auch Urlaubsabgeltungsansprüche von ehemaligen Mitarbeitenden nicht.

BAG-Urteil: Keine Rechtssicherheit für Arbeitgeber

Das Urteil des BAG bringt leider nicht die gewünschte Rechtssicherheit für Arbeitgeber im Hinblick auf finanzielle Verpflichtungen, die sich aus Ansprüchen auf Urlaub und Urlaubsabgeltung – im Zweifel aus etlichen Jahren! – ergeben können.

In diesem Kontext müssen Arbeitgeber bedenken, dass

  • sie im Rahmen einer Auseinandersetzung unter Umständen beweisen müssen, dass sie, den Hinweis auf Verjährung der anspruchstellenden Person gegeben haben oder den Urlaubsanspruch ggf. bereits erfüllt hatten. Gelingt dieser Beweis nicht, besteht im Zweifel ein Anspruch von Mitarbeitenden auf Urlaub oder Urlaubsabgeltung.
  • Selbst wenn ein Unternehmen seit 2019 (Urteil des BAG zur Hinweispflicht!) alles richtig gemacht hat und das auch beweisen kann (u.a. Dokumentation des Hinweises), können Mitarbeitende Abgeltung älterer Urlaubsansprüche geltend machen, die aus einer Zeit stammen, bevor die Hinweispflicht 2018/2019 vom BAG erstmals bestätigt wurde.  

Sie haben Fragen zur Hinweispflicht des Arbeitgebers?

Für den Fall, dass Sie diesbezüglich oder generell zum Arbeitsrecht Fragen haben, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung!

Ihr Christian Seidel

Unser Experte bei Fragen im Bereich Arbeitsrecht


Christian Seidel

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht
Prokurist der Acconsis GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft


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